Philip Marlowe kommt nach Kreuzberg

Ein Berlin-Krimi in der Tradition der schwarzen Serie

 

»Ich hatte einen Wagen, der mir nicht gehörte, eine Waffe, mit der ich nicht umgehen konnte oder wollte, und zwanzig große Scheine, die anfingen, mir Löcher in die Innentasche meines Anzugs zu brennen. Und ich fuhr zum Rendezvous mit einem Mörder.« Solche Sätze könnten auch von Chandlers Philip Marlowe stammen, klassischer Antiheld der hard boiled novel. In seinem Kriminaldebüt »Sills' Verhängnis« schließt Thorsten Tornow spielerisch an die Tradition der schwarzen Serie an und zieht souverän die Register des Genres. Schauplatz ist jedoch Berlin im brütendheißen Sommer 1988.
     Sills ist pleite, seine Freundin hat ihn sitzengelassen, und der Whisky vermag nur noch geringen Trost spenden. Da betritt »ein Fettwanst, wie ich ihn noch nie gesehen hatte«, sein runtergekommenes Büro und bietet ihm einen lukrativen Auftrag an. Sills ist ansonsten nicht zimperlich bei der Erledigung zwielichtiger Geschäfte, aber nun soll er eine übel zugerichtete Frauenleiche beseitigen. Dieses »Schlachtfest am Schlachtensee« wird nicht die letzte Tote auf seiner tour de force durch das morbide Berlin sein. In nur wenigen Tagen eilt der Kreuzberger Marlowe - Lebensmotto: Rauhe Schale, harter Kern - von einer Gefahr in die nächste, die Liste der Nasenbeinbrüche, Entführungen und Morde verlängert sich dabei in atemberaubendem Tempo.
     Berlin zerfällt in das Kreuzberg der Punks, Proleten und Penner und in den mondänen Süden der Villenbesitzer, Vergewaltiger und Verbrecher. So schwarzweiß diese Teilung der Stadt scheint, fehlen dem Roman nicht die sozialkritischen Töne. Ob spießige Juristen, bettelnde Junkies, versoffene Prolls, biedere Autonome, Yuppies in Designerwohnungen, millionenschwere Gangster oder halbseidene Pornodarsteller - mit beißender Ironie drückt Sills als Erzähler dem Leser seine Sicht der Dinge auf. »Seit die Zeiten vorbei sind, in denen die Leute Blockwart werden konnten, gehen sie in ihren Joggingklamotten auf die Straße und helfen den Bullen.«
     Tornows lakonisch-witziger Stil, seine stilisierte, knappe Sprache und die augenzwinkernd überspannten Metaphern verhelfen dem Roman zu einer durchgehenden Spannung, nicht zuletzt wegen der überraschenden Auflösung. Für Sills gibt es trotzdem kein happy end. Er ist verdammt zu einem neuen, brenzligen Auftrag. Daher darf man gespannt sein auf Tornows nächsten Krimi »Unter Senkern«, eine Hommage an seine Zeit als Sargträger in Berlin: sicherlich mit entsprechend vielen Toten.

Thorsten Tornow

Sills' Verhängnis

Piper Verlag

München 1997

Schweineköpfe im Sarg

Ein schwarzer Krimi um die Verbindungen von RAF und Stasi

 

Was ein Senker ist? Eine kaputte Existenz, die sich ab und zu in einen schlecht sitzenden, schwarzen Anzug zwängt, auf Friedhöfen rumlungert und Toten das letzte Geleit gibt. So zumindest stellt Thorsten Tornow die Sargträger in seinem Krimi dar. Privatdetektiv Sills wird in ein Sargträgerunternehmen eingeschleust, um den zwielichtigen Chef zu bespitzeln. Dieser hat Anfang der Achtziger im Kofferraum die Grenze von Ost nach West passiert und stottert jetzt sein Eigenheim mit recht ausgefallenen Beerdigungen ab. Als Sills beim Absenken den Sarg zum Absturz bringt, rollen acht verwesende Schweineköpfe aus der Kiste raus.
     Der Kreuzberger Ermittler, bekannt aus Tornows erstem Berlin-Krimi »Sills Verhängnis«, gerät bei seinen Recherchen in den tiefen Sumpf der RAF-Stasi-Connection. Sills ermittelt zwischen allen Fronten und kann seine Haut nur mit Glück vor Gangstern retten, die zwar nicht »mehr Hirn als eine Fünfminutenterrine« haben, aber dafür andere, schlagkräftige Argumente ins Spiel bringen.
     Tornow war jahrelang Sargträger in Berlin und schöpft sichtlich aus diesen Erfahrungen. Die skurrilen Typen aus diesem Gewerbe, die »Trauershows« auf den Friedhöfen und die obligatorischen Leichen bilden einen ausgezeichneten Hintergrund für einen Krimi. Die Verbindung mit der Zeitgeschichte wirkt dabei nicht angestrengt, die Fakten sind gut recherchiert. Tornow zitiert mit Ironie Sprache, Gesten und Sujets der schwarzen Serie, entwickelt witzige und pointierte Dialoge und hat bei allem Zynismus die sozialkritische Bissigkeit eines Chandlers. Die schnoddrige Sprache ist gelegentlich zwar etwas bemüht, für Liebhaber von hard boiled novels sind die beiden Sills-Romane dennoch kurzweilige und spannende Unterhaltung made in Berlin.

Thorsten Tornow

Unter Senkern

Piper Verlag

München 1998

 

in: Der Tagesspiegel Berlin, April 1997 und Februar 1998