Der literarische Realitätenvermittler
Die Liegenschaften in Thomas Bernhards Roman Auslöschung
Originalausgabe: VanBremen, Berlin 1995
eBook: epubli GmbH, Berlin 2014
ISBN 978-3-8442-8585-7
14.99 €
Ich bin nicht eigentlich Schriftsteller, habe ich zu Gambetti gesagt, nur ein Vermittler von Literatur und zwar der deutschen, das ist alles. Eine Art literarischer Realitätenvermittler, habe ich zu Gambetti gesagt, ich vermittle literarische Liegenschaften sozusagen.
Thomas Bernhard. Auslöschung. Ein Zerfall, 1986
Diese Selbsteinschätzung des erzählenden Protagonisten Franz-Josef Murau erhellt aus seiner Tätigkeit in Rom: er ist der Deutschlehrer Gambettis, der diesem die deutsche Literatur nahezubringen versucht. So wird auf den ersten Seiten des Romans ein Kanon zu lesender Werke aufgestellt, die Gambetti auf das aufmerksamste und mit der in seinem Fall gebotenen Langsamkeit studieren soll. Im Verlauf des Romans wird diese Literaturliste ständig erweitert, um am Ende mit einer beträchtlichen Anzahl an Autoren und Werken die freien Regale dieser Bibliothek des bösen Geistes gefüllt zu haben. Der geistesgeschichtliche Horizont, den Murau in diesem Pandämonium absteckt, reicht von Montaigne bis zu Ingeborg Bachmann, von der Spätrenaissance bis in die Gegenwart.
Joachim Hoell begibt sich auf die literarische Reise nach diesen 'Liegenschaften' und veranschaulicht in dieser größten Monographie zu Bernhards letztem und umfangreichsten Roman Auslöschung, auf welche Weise Thomas Bernhard von Autoren wie Jean Paul, Novalis, Hebel, Goethe, Kafka, Musil, Broch, Bachmann, Kropotkin, Pavese, Sartre, Montaigne, Descartes, Pascal, Voltaire und Rousseau thematisch, weltanschaulich und ästhetisch geprägt wurde.
Die intertextuelle Analyse bildet somit einen neuen Schlüssel für das Werk des 1989 verstorbenen österreichischen Schriftstellers.
Pressestimmen
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Realitätenvermittler (österreichisch für Grundstücksmakler) handeln mit Liegenschaften und spielen in Bernhards Leben und Werk eine nicht unwichtige Rolle. Franz-Josef Murau, die Hauptfigur der Auslöschung, bezeichnet sich selbst als einen "literarischen Realitätenvermittler". Von dieser Selbsteinschätzung ausgehend, macht der Verf. den Begriff der "literarischen Liegenschaft" literaturwissenschaftlich fruchtbar. So entsteht eine Topologie im doppelten Sinn des Begriffs. Denn es werden nicht nur die intertextuellen Bezugnahmen, sondern auch ihre Bedeutung als Konstituenten der Figur Muraus und der dargestellten Welt rekonstruiert. Die Arbeit behandelt also im Kontext der zum Teil nur über Autorennamen zitierten, deutsch- und fremdsprachigen Literatur (wobei die Goethezeit und die Moderne sowie autobiographische bzw. philosophische Literatur abgedeckt werden) die zentralen (aber auch schon hinlänglich bekannten) Topoi des Romans wie Kindheit, Krankheit, Politik und Utopie, Romantik sowie das Selbstverständnis des Geistesmenschen in seinem Versuch der autobiographischen Selbstvergewisserung im Akt der Auslöschung. Den Wert der Arbeit macht die solide und umfassende Aufarbeitung dieser topologischen Felder aus.
Oliver Jahraus
Band 40, 1999