Joachim Hoell

Mythenreiche Vorstellungswelt und ererbter Alptraum
Ingeborg Bachmann und Thomas Bernhard

Originalausgabe:
VanBremen, Berlin 2000
eBook: epubli GmbH, Berlin 2014
ISBN 978-3-8442-8539-0

19.99 €

 

Ingeborg Bachmann bekennt, daß sie noch immer durch die »mythenreiche Vorstellungswelt« ihrer »Heimat« beherrscht sei, Thomas Bernhard bezeichnet diese »Heimat« als »ererbten Alptraum«. Beide Autoren befassen sich in ihrem Werk mit zwei Mythen, die das österreichische Bewußtsein der Nachkriegszeit bestimmen: dem Mythos des Habsburgischen und dem Mythos vom Opfer Hitlerdeutschlands. Diese Hinwendung zu Österreich findet literarisch statt, denn ihre bevorzugten Autoren stammen aus Österreich und teilen mit ihnen die große geschichtliche Vergangenheit des Habsburger Reiches, aber auch die Phase des Nationalsozialismus.
Mit der literarischen Bearbeitung von Joseph Roths »Trotta«-Romanen und Jean Amérys »Bewältigungsversuchen« in Bachmanns »Simultan« sowie Hans Leberts Roman »Die Wolfshaut« in Bernhards »Frost« beziehen sich beide auf zentrale Texte für ein österreichisches, aber auch für ein geschichtliches Bewußtsein.

 

 

Pressestimmen

 

… mit dem detaillierten Nachweis, daß Bernhards literarische Auseinandersetzung mit seiner österr. Heimat und ihrer Geschichte (bis zu 'Auslöschung') als motivische und narrative Montage bzw. Demontage von Leberts 'Wolfshaut' angelegt ist, hat der Verf. einen wichtigen Beitrag zur Bernhard-Forschung und zur Erforschung zentraler Paradigmen der österr. Nachkriegsliteratur vorgelegt.

Irmela von der Lühe
Bd. 42, 2001

 

Mythen, Alpträume und sterbende Frauen
Joachim Hoell über Heimat in den Werken Ingeborg Bachmanns und Thomas Bernhards

Mit der Literarisierung von Heimat bei Ingeborg Bachmann und Thomas Bernhard befasst sich Joachim Hoell. Da beider Werke durch »thematische und räumliche Geschlossenheit gekennzeichnet« seien, meint der Autor zuversichtlich, dass eine »konzentrierte Untersuchung« jeweils nur »eines einzigen Textes« bereits Aufschluss über die »polare Spannung« von »mythenreicher Vorstellungswelt« und »ererbtem Alptraum« in den gesamten Œuvren der AutorInnen geben können. Eine allzu kühne Annahme, der Hoell glücklicherweise nicht die entsprechende Tat folgen lässt. Zwar konzentriert er sich auf einzelne Texte - bei Bachmann die »Simultan«-Erzählungen und hier insbesondere »Drei Wege zum See« und bei Bernhard auf »Frost« und auf »Auslöschung« - doch richtet er seine Aufmerksamkeit nicht ausschließlich auf sie. Anders als bei Bernhard, beschränkt sich der Autor zur Untersuchung von Bachmanns Heimatverständnis zudem nicht nur auf Werke der Schriftstellerin selbst, sondern zieht Bernhards Roman »Auslöschung« zu Rate, in dem Bachmann als Maria literarisiert ist.
     Zu recht konstatiert Hoell im weiteren, dass Bachmann »die nationalsozialistische Zeit und ihre Verdrängung ins Zentrum ihrer Arbeit« gerückt habe. Auch ist die Herausarbeitung eines Interpretationsschemas in »Drei Wege zum See« gelungen, dem zufolge in verschiedenen Hinsichten jeweils drei »Wege« nicht zielführend sind, denen jedoch ein vierter möglicherweise gangbarer Weg zur Seite beziehungsweise gegenüber gestellt wird; so in den »Geschichtsbildern« der Erzählung, den »Wegen möglicher weiblicher Lebensgestaltung« und den »wichtigen Männerbeziehungen« der Protagonistin.
     Eher en passant kommt Hoell auf die »Geschlechterfrage« zu sprechen und bemerkt, dass Bachmann »ein kritisches Portrait der emanzipierten Frau in der heutigen Gesellschaft« zeichne. Sieht man einmal davon ab, dass es nicht die emanzipierte Frau in der heutigen Gesellschaft ist, die Bachmann literarisiert, sondern diejenige der sich emanzipierenden Frau in der Gesellschaft der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts (beide unterscheiden sich erheblich), so mag man zustimmen, zumal Hoell hervorhebt, dass Bachmann der Emanzipation nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstand.
     Gegenüber Bernhard versucht der Autor hingegen die weitverbreiteten Vorwürfe der Misogynität abzuschwächen. Zwar seien Bernhards »Schreibweise und seine Darstellungen von Frauen als patriarchalischer Akt verstanden worden«, doch ließen sich im Spätwerk »Ansätze eines differenzierteren Frauenbildes« erkennen. Hier gestalte Bernhard auch weibliche Figuren, die mit »'männlichem« Geist ausgestattet seien. Das dies bei Bernhard allerdings gleich die literarische Todesstrafe nach sich zieht, ist auch Hoell nicht entgangen: »Bezeichnenderweise sterben diese Frauen«. Inwiefern darin ein differenzierteres Frauenbild, gar ein weniger misogynes zum Ausdruck kommen soll als in früheren Werken, bleibt also zweifelhaft. Bei der vielleicht einzigen tatsächlich nicht misogyn dargestellten Frauenfigur in Bernhards gesamtem Œuvre handelt es sich um Maria, der bereits genannten literarischen Inkarnation Bachmanns.

Rolf Löchel
März 2002