Ingeborg Bachmann. Ein Portrait
Originalausgabe: dtv,
München 2001, 2. Aufl. 2004
eBook: epubli GmbH, Berlin 2014
ISBN 978-3-8442-8587-1
6.99 €
Ingeborg Bachmann (1926-1973), gehört mit ihren Gedichten, Hörspielen, Libretti, Essays, Erzählungen und dem Romanzyklus »Todesarten«, von dem nur »Malina fertiggestellt wurde, zu den bedeutendsten deutschsprachigen Autorinnen des 20. Jahrhunderts.
Pressestimmen
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Hoell erzählt und flüssig und eloquent und schafft ein lebendiges, exakt beobachtetes Bild der Dichterin und des Menschen Ingeborg Bachmann.
14. Juni 2001
Eine überaus lesenswerte Biografie, in der Mensch und Dichterin Bachmann zu Wort kommen.
6. Juli 2001
Als Nachtrag zum 75. Geburtstag der Schriftstellerin empfiehlt sich diese Biografie, die sich sehr intensiv mit den Texten und nicht nur mit dem problematischen Lebensweg der Bachmann befasst. In vielen Zitaten führt der Autor zum verflochtenen Werk im Stil eines modernen Reiseführers.
23. Juli 2001
Eine vorzügliche Monographie.
21. Juni 2001
So konzentriert wie ergiebig ist der eben erschienene, von Joachim Hoell geschriebene Band über Ingeborg Bachmann in der Reihe dtv portrait. Leben und Werk werden darin in ihren beiderseitigen Wechselbezügen sichtbar, ohne dass das eine als Ursache oder Wirkung des andern festgeschrieben würde. Vielmehr gelingt es dem Autor, auf dem heutigen Stand der Forschung die Themen dieses Werks wie die Stationen und Wege dieses Lebens nachzuzeichnen, jenseits aller voyeuristischen Einblicke - doch ohne »blinde Flecken« in der Wahrnehmung - Ingeborg Bachmann als Autorin und als Person zu porträtieren. Aufrichtigkeit wie Diskretion sind in diesem Porträt und bei aller Knappheit ein erstaunlicher Reichtum an Nuanciertheit, Genauigkeit und Tiefenschärfe.
23 Juni 2001
Zugang zu einer Ausgebeuteten
Eine der »Todesarten« in dem unvollendeten Romanzyklus von Ingeborg Bachmann (1926-1973) ist die literarische Ausschlachtung einer Person, wie sie die Autorin in ihrem eigenen Leben erfuhr. Nach ihrem Tod durch Verbrennungen und Folgen von Tablettenabhängigkeit setzte sich die Ausbeutung in Nachrufen und Erinnerungen fort. Legenden und Mythen behindern bis heute den Zugang zu Leben und Werk. Viele von Bachmanns Frauenfiguren verleiten dazu, direkt auf ihre Person zu schließen - dabei war sie bewußt um Abstraktion bemüht. Der Literaturwissenschaftler Joachim Hoell unternimmt in seinem Porträt den gewagten Versuch, sich an die persönliche Sphäre der Schriftstellerin anzunähern, ohne ihre Intimsphäre anzutasten. Dazu greift er auf Gespräche mit Ingeborg Bachmanns Schwester Isolde Moser sowie bisher unveröffentlichte Tagebuchblätter, Briefe und Nachlassblätter zurück. Hoell geht aus von Ingeborg Bachmanns »Kindheitslandschaft« Kärnten, die in ihrem Werk immer wiederkehrt, und fasst sie auf als eine utopische Gegenwelt zu den historischen und privaten Katastrophen im Leben der Autorin.
2. Juni 2001
Bettlektüre
Falls Sie nicht einschlafen können oder beim Fernsehen noch nicht eingeschlafen sind und zum 75. Geburtstag an Ingeborg Bachmann erinnert wurden, möchten Sie womöglich die österreichische Dichterin genauer kennenlernen. Aus dem Meer an Sekundärliteratur ragt eine neu Biographie heraus, mit der Joachim Hoell eine wunderbare Nähe schafft. Sind es auf den ersten Blick die Fotos - vom in Klagenfurt 1926 geborenen Baby auf dem obligatorischen Lammfell bis zum 1973 errichteten Grabstein -, mit denen man sich ein Bild machen kann, so wird der ruhelose Lebensweg der Dichterin doch vor allem in Dokumenten, Zitaten und Aussagen von Zeitgenossen begehbar - bis zurück in ihren rauschenden literarischen Start in der Gruppe 47. Mit äußerster Sensibilität wird die schicksalhafte Begegnung mit dem Schweizer Max Frisch nachvollzogen, als Beziehung zweier Giganten der Literatur, an der die Bachmann, die ihre Liebe »ausgeweidet« sieht in Max Frisch's »Montauk«, zerbrechen sollte. Sie hat nicht mehr herausgefunden aus dem Teufelskreis von Tabletten und Alkohol. Die Tragödie einer Dichterin, die eine Frau war. Gute Nacht!
Lilo Plaschke
4. Juli 2001
Ein neues Ingeborg-Bachmann-Porträt von Joachim Hoell
Die geheimnisvolle Dichterin
Joachim Hoells neue Bachmann-Biographie analysiert minutiös die das Werk durchziehenden Lebensfäden im dichten Geflecht von Erfahrenem, Charakter und einer außerordentlichen, sensiblen Intelligenz. So verstörte bereits die Zwölfjährige die nationalsozialistische Machtübernahme als eine Impression des Irrationalen und Entfesselten, die der Dichterin zur Metapher für maskuline Gewalt wird und mit der Gestalt ihres uniformierten Vaters zu verschlüsselten Traumbildern ihres Romans »Malina« verschmilzt. Die Liebe zu ihrem Vater und die Enthüllungen der Naziverbrechen müssen sie in einen lebenslangen Konflikt geworfen haben, den ihr Verschweigen nur bestätigte.
Das kurze Leben der Bachmann war trotz schwerer Krisen, trotz eigener Wesensbürde ein schillerndes. Als Studentin der Philosophie, Germanistik und Psychologie in Wien, zwischen den Geistern Heidegger und Wittgenstein, begegnete sie im Café Raimund jener jungen Autorengeneration, aus der große Namen hervorgingen. Auch Paul Celan gehörte dazu, ein Holocaust-Gezeichneter, der zur Liebe ihres Lebens wurde. »Der verfolgte Jude, im Rückzug auf sich selbst, und die Österreicherin aus dem Kollektiv der Täter«, so Hoell. Kaum vorstellbar, zwischen welche Mühlsteine sie das geworfen haben muß. Die emotionale und geistige Dimension dieser Verbindung wirkte lebenslang nach. Celan hat ihr viele Gedichte angeeignet, und sie selbst blendet in der Erzählung »Drei Wege zum See« zu dieser Liebe zurück. Vor allem aber schreibt sie nach Celans Selbstmord in der Seine, Jahre später, zu ihrem Roman »Malina« ein Märchenkapitel, in dem sie ihre Liebe mit einer Landschaft aus Wasser und Weiden verwebt, ihrer Kindheitslandschaft am Fluß Gail in Kärnten. Grenzland zu Italien und Jugoslawien, das sie zur geistigen Heimat verschwimmender Grenzen mythifizierte, Quelle ihres unsteten Lebens zwischen Wien, Berlin, Paris, London, New York und immer wieder Rom.
Aber auch Celan sagte sie nach, er habe sie in eine Exilierte verwandelt, deren Bestimmung die Fremde war. Bachmanns literarische Steilkarriere mag sie vor einem seelischen Absturz nach der Trennung bewahrt haben, anders als später bei Frisch. Der Preis der Gruppe 47 honorierte ihre den Nerv der Zeit berührende Lyrik, ein Erfolg, den Hoell mit der »Spannung von Poesie und Politik, Geschichte und Gegenwart« erklärt. Ins »Mythisch-Ewige« überhöht, durch Todesverfallenheit und Schicksalhaftigkeit überdauerten die Gedichte das »lyrische Jahrzehnt« der fünfziger Jahre.
Der Begegnung mit dem Komponisten Hans Werner Henze verdankte sie auf Ischia ihre unbeschwertesten, sexuell unbelasteten Lebensabschnitte. Diesem Homosexuellen, für den sie die Librettos zu seinen Opern »Der junge Lord« und »Der Prinz von Homburg« schrieb, schien es vorbehalten, die heitere Saite ihrer Natur zum Klingen zu bringen, zu arbeiten und Feste zu feiern, einmal aus Wesentiefen an die Oberfläche zu steigen. Vorübergehend. Die nächste Verdunkelung wartete bereits und es wirkt heute wie ein Omen, daß der Begegnung mit Max Frisch die weibliche Opferstruktur des Hörspiels »Der gute Gott von Manhattan« vorangestellt wurde: ein Mädchen, das an ihrer bedingungslosen Liebe zugrunde geht. Nach der Erstsendung gratuliert Frisch der Autorin. Eine Liebesbeziehung nahm ihren Anfang und dauerte vier Jahre.
Es ist viel über das Gute und Ungute dieser Jahre gemutmaßt worden. Hoell geht über die bekannten Sätze und Kommentare hinaus, indem er die nachfolgenden Bachmann-Arbeiten im Roman-Zyklus »Todesarten« seziert und faszinierende Querverbindungen zieht. Dieser wohl schmerzhafteste Einschnitt in ihrem Leben traf sie einem Alter schwächerer seelischer Regeneration. Der körperliche und psychische Zusammenbruch, Alkohol- und Tablettenabhängigkeit mit Klinikaufenthalten, lähmte sie künstlerisch und führte zu einer Zäsur in ihrem Schaffen. Karrierehöhepunkte, wie der Büchnerpreis und die Opernerfolge mit Henze, holten sie nur vorübergehend aus dem Tief, in das Frischs Roman »Mein Name sein Gantenbein« sie zurückwarf. Sie sah sich rücksichtslos »ausgeschlachtet«. Auf den »Fall Gantenbein« wird sie später mit dem »Fall Franza« zurückschlagen, der härtesten Abrechnung einer weiblichen Opfersicht, die als Fragment innerhalb der »Todesarten«-Romane zurückgelassen und postum veröffentlicht wurde.
Hier wird Faschismus auf eine persönliche Ebene projiziert, ohne ihn zu reduzieren. Faschismus auch innerhalb der Gesellschaft, die gewisse Todesarten schweigend zuläßt. In Rom, wo Bachmann sich 1965 erneut niederließ, fühlte sie sich endlich wieder mit einer Aufgabe versorgt: ihrem »Todesarten«-Zyklus, einem Großprojekt nach dem Vorbild von Balzacs »Menschlicher Komödie«. Ihr Gedicht »Böhmen liegt am Meer« - von Thomas Bernhard als »schönstes Gedicht deutscher Sprache« gerühmt - klingt nach wiedergefundener Ruhe, Zuversicht, heiterer Schaffenskraft. Sie nannte es ihr »letztes Gedicht« und liebte es am meisten, weil es ihr in der schöpferischen Krise »als Geschenk zugefallen« war.
Wer das Werk dieser ungewöhnlichen und immer noch geheimnisvollen Dichterin kennt oder kennenlernen möchte, findet im analytischen Porträt Hoells Entschlüsselung und Transparenz dieses komplexen und oft hermetischen Gewebes poetischer Umformung, Vertiefung und Verdunkelung von Lebensmaterial. Die intuitive »Seherin« bestätigt sich in Hoells Darstellung, aber sie rückt ein wenig näher.Margret Steckel
Luxemburg, 15 juin 2001